re:publica 2013 vom Klassentreffen zum Kirchentag der Macher #rp13

Der erste Tag nach der re:publica 2013 lädt ein zum Reflektieren und Zusammenfassen:

Es war wiedermal – wie erhofft und gewünscht – mein Konferenz-Highlight des Jahres und ich habe neben den überraschend guten Sessions viel Zeit gehabt, fantastische Menschen kennen zulernen und Freunde wiederzusehen. Side-Events waren diesmal wieder reichlich, angefangen von unseren traditionsreichen Tapas-Abenden in Daniel Brühls Restaurant Bar Raval. Dann folgte eine private Facebook-Party (die im Rahmen blieb und in Schwung kam, als Foursquare Locations angelegt wurden und der Party Hashtag geboren wurde)  über das erste Deutsche Sweetup mit Lakritz-Verkostung.

Alles sehr reizend, flauschig und kuschelig, aber diesmal war die re:publica mehr als das viel beschworene Klassentreffen: Kirchentagsstimmung kam auf. Mit 5000 Teilnehmer wurde sie größer, etwas unpersönlicher, Integration war großes Thema (siehe Annette Schwindt), viel professioneller (sogar WLAN funktionierte) und fast jeder Vortrag war durchdrungen von der Dichotomie “wir/die”. Glücklicherweise finden sich immer wieder neue Projektionsflächen, gegen die man sich abarbeiten kann. Diesmal war es die Drosselkom.

Besonders beeindruckend fand ich den Vortrag von der Soziologie-Professorin Jutta Allmendinger, die über ihre Studien zu Geld, Arbeitsmarkt und Zukunftswünschen von Jugendlichen berichtete und sich nicht erklären kann, wie es zum ersten Mal in einer Forschung signifikant zu anomalischen Antworten kam: Überraschend viele Teilnehmer sehen sich wertemäßig sehr differenziert und distinguiert zu den Anderen. Bsp: “ich bin treu, sparsam und loyal und die Anderen leben egoistisch und Geld verprassend.”
Dieses Muster zog sich durch einige Vorträge durch, so dass man immer wieder erfahren durfte, dass die Anderen das Internet oder Social Media noch nicht verstanden hätten oder dass Verlage nicht erkannten, dass Print keine Zukunft habe.

Erfrischend fand ich bei der Journalisten-Runde mit den Leitern von DER ZEIT (Jochen Wegner), Spiegel Online (Katharina Borchert) und SZ (Stefan Plöchinger), die zwar nicht zu Kontroversen aufgelegt waren, sondern den (noch nicht) legendären Link-Friedensschluß verkündeteten. Mir gefiel ihre offene Statements im Sinne von: wir müssen uns mehr wagen, mehr Mut haben, neue Formate auszuprobieren. Wir sind Digitale Natives, die etwas testen, reinfallen und weitermachen. Für mich war auch erstaunlich, dass im Bsp vom SPIEGEL nur 7% sowohl SPIEGEL Print als auch SpOn lesen. Beachtliches Potential liegt dort noch brach.
Borchert Ploechinger Wegner

Weiter in der Dichotomie “Wir/Die” ging es bei Tanja und Johnny Häusler, Mitorganisatoren der #rp13 und Spreeblick-Blogger. Ihr Pamphlet gegen das Schul-und Bildungssystem war wichtig, gut und emotional.  Gänsehäutiges Gemeinschaftsgefühl gehört in die Mitte eines Kirchentag, nicht erst beim abschließenden sakralen Bohemian Rhapsody. Lohnt sich nachzulesen und nachzuschauen, passt aber in das beschriebene Muster.

Spreeblick Häussler Rant

Der “Godfather of Moralpredigten”, Sascha Lobo, brachte es auf den Punkt nach seinem Rant, und schafften einen Konferenz-Mem: MACHEN!
Damit zucken die Jüngern mit den Schultern ein, fühlen sich eventuell schuldig für ihren mangelnden Aktionismus, vor allem bei Netzpolitik, und beschwören Besserung. Die gute Botschaft der Digitalen Gesellschaft muss nach außen getragen werden wie ein olympisches Feuer! Die Message unsere Netzwerke darf nicht an den Systemgrenzen der Netzwerken hängen bleiben! Wir müssen liefern!
Lobo positioniert geschickt sein neues Social Media Tool Reclaim.FM, das unseren Content zurück von den Zuckerbergschen Servern zu uns holen lässt.

Lobo machen

Interessanterweise nimmt Felix Schwenzel dieses Staffelholz namens “MACHEN!” mit als Credo in seinen Vortrag auf. Berliner Lokalkolorit lässt sich nicht nur an der Art der Folien (Filme funktioniert nicht und hießen daher “Sascha-Lobo-Gedenkfolien”), sondern auch daran erkennen, dass mit minimaler Vorbereitungszeit und Unlust am Vortrag kokettiert wird, wobei diese Unprofessionalität (“Wirres Rumgeschwenzel”) erfrischend unterhaltsam ist. Übrigens hat @diplix mit Lobo gemeinsam reclaim.fm entwickelt.
Beachtenswert ist, dass Schwenzel die Moralfalle entdeckt hat (nicht “knüwern“!) und mit dem erwähnten Berliner Stil (den ich auch bei Nilz Bokelberg entdeckt habe) und Katzen-Content dennoch Optionen aufzeigen möchte, die Welt zu einer Besseren zu machen.

Feiix Schwenzel

Dann gab es noch Highlights, die gar nicht das beschriebene Schema passte wie das Interview mit dem Daimler CEO Dr Zetsche. Sehr interessante Einsichten in seine Ideen über die Zukunft der Mobilität und das Fragenspektrum reichten von CarSharing über Google Cars (“sehen aus wie Mondlandefährten der 90er Jahre”) zu Gadgets im Auto und stark anwachensende Mobilität in China. Schwachpunkt waren hier die Fragen des Interviewers, Zetsche hätte mit Sicherheit noch weitergehend geplaudert.

Dr Zetsche

Aber es gab auch die andere Seite der re:publica, die mit Barcamp-Character und Berichten aus der Werkstatt: Dr Benedikt Köhler und Jörg Blumtritt sprachen über Data Science & Big Data bei sozialen Netzwerken und  zeigten anhand von Excel Add Ons wie NodeXL und anderen Tools auf, wie man großen Datenmengen visualieren (und sexy machen) kann und wann es Sinn macht, Eigenschaften korrelieren zu lassen (zB Wohngeldtabelle und Arbeitslosengeld). Besondere Empfehlung gilt Diensten wie Flickr, die mit ihrer API sich ideal eignen, für DataScience zu benutzen. So wurde an einem Bsp die Straßenstrukturen von Berlin nachgebildet durch GeoTags bei Flickr-Fotos.

Jörg Blumtritt Netzwerke

im Workshop “Systemisch und Souverän durch den Digitalen Wandel” haben Sybille KlotzSteffen LiebenerMichael Rouba gezeigt, mit welchem Handwerkszeug (Foto zeigt systemische Brettaufstellung) sie Konflikte bei digitalen Kampagnen analysieren und auflösen können:

Systemisch

Auch der Workshop “Semiotik für Nerds – Oder von der Unwahrscheinlichkeit gelingender Kommunikation und offenen Kunstwerken” von Dr Sabria David und Jörg Braun war eine Freude, da er sowohl theoretisch interessant (sehr gute Umberto Eco-Zitate) und dennoch reich mit Gruppenübungen war.
Noch etwas Mediales:
Photosynth-Panorama von außen und innen
Vine Kurzvideo: #rp13 bei Nacht
Facebook-Album

Abschlußfazit fällt aus. Dafür war die #rp13 zu bunt, komplex und vielseitig.
Als Ersatz gibt es meinen Lieblingstweet:

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